Es ist, als ob jedes Wort, das darüber gesprochen wird neue Wunden aufreißt. Jedes Mal stürzen mit meinen Erinnerungen die innerlichen Schutzmauern ein und ich spüre wieder mein gebrochenes Herz, den Schreck, der mir in den Gliedern sitzt. Ist es tatsächlich passiert? Schon wieder?
Ja, das ist es. Nun zum dritten Mal. Alle guten Dinge sind 3? Hier definitiv nicht. „Wieviele Schwangerschaften? fragt mich die Schwester im Zimmer vor der zweiten Kürretage.“Drei“ antwortet ich – mit gesenktem Blick und angestarrt von dem mithorchenden Besuch der Zimmernachbarin.„Wieviele lebende Kinder?“ „Eins„. Und wieder ein Stich in meinem Herzen und der Schauer rieselt meinen Rücken hinunter. Die Krankenschwester murmelt ein :“Oje“ und verlässt den Raum. So war das damals. Nun ist also ein weiteres totes Kind dazugekommen.
3:1 – Tot:Lebend.
Im OP gehts weiter mit dem emotionalen Chaos. Man fragt mich nach dem Namen um meine geistige Orientierung zu prüfen. Und nach dem Grund warum ich da bin. Ich antworte. Das OP Team schaut kurz bedröppelt und macht weiter.
Was habe ich mich motiviert bei jedem neuen Anlauf. „Jetzt ist die Pechsträhne vorbei!“ „Auch du hast jetzt einmal Glück“ „Raus aus der Angst, na los!“ Ich habe mich selbst zur Entspannung gezwungen, zur Ruhe, versucht positiv zu denken. Versucht den Ärzten zu glauben, die mir weismachen wollen, dass mit mir alles tiptop in Ordnung sei.
Untersuchungen? Nein. „Die macht man erst nach 3 Fehlgeburten. Vor der 12ten Woche sollten Sie sich sowieso nicht hineinsteigern. Da geht schon mal was schief. Genießen Sie ihr Leben!“
Die lapidare Art und Weise wie die Ärzte meine Verzweiflung hinter ihrer fachlichen Routinefassade abwettern und mir flapsig zu verstehen geben, dass ich mich da ein wenig entspannen sollte, nimmt mir die letzte Energie. Seht ihr nicht wie bedeutungsvoll eure Beratung für mich ist? Wie ihr mir beistehen könntet mit eurem Wissen? Wie ihr mir helfen könntet zu ergründen warum es schon wieder passiert ist. Warum es nie gut wird. Sondern immer in einer Katastrophe endet.
„Sie sind noch so jung!“ sagt der eine zu mir. „Sie sind halt schon in einem Alter in dems schwieriger wird.“ sagt die zweite. Konkrete Maßnahmen gibts von keiner Seite. „So gesund wie Sie aussehen kann da nichts sein.“
Als ich mit dem Kleinkrawallo schwanger war, war ich frei und unbedarft. Alles lief blendend, wenn man davon absieht, dass ich die Hälfte meiner Schwangerschaft liegend verbringen musste. Ich hatte dennoch immer ein gutes Gefühl. Vertrauen in meinen Körper. Wurde mit einer sensationellen Geburt und einem wunderbaren Kind beschenkt. Dieses Körpergefühl ist nun wohl für immer zerstört. All die Leichtigkeit um das schöne Thema Familie ist verschwunden.
Sehe ich Schwangere möchte ich weglaufen. Ganz weit weg. Wie oft habe ich Kolleginnen in der Arbeit beglückwünscht zur Schwangerschaft, zur Geburt. Teils sogar mit einem toten Embryo im Körper. Von dem niemand wusste.
Selbst in solchen Situationen habe ich immer gearbeitet. Warum eigentlich? Vermutlich weil ichs nicht wahrhaben wollte. Nicht aussprechen wollte. Stattdessen habe ich schwer geschluckt, gelächelt – nach außen. Sie konnten ja nichts für meinen Schmerz.
Es fühlt sich an wie eine Behinderung. Etwas, was man mit dem Kopf relativieren kann. Sich erklären kann. Bloß dass all diese Erklärungen keinen Milimeter des gebrochenen Herzens flicken können. Kein einziger abgeklärter Gedanke hilft mir dabei mich in Anwesenheit der im Glück schwimmenden Frischlingseltern besser zu fühlen. Schreien möchte ich. Und flüchten.
Es bleibt mir also nur das Verdrängen, das Ablenken, das Aushalten. Und gleichzeitig schäme ich mich dafür meine Emotionen nicht besser im Zaum zu haben. Mich nicht unvoreingenommen mit den anderen mitfreuen zu können.
„Du hast ja schon eins. Sei froh und dankbar.“ sagen sie mir.
Ja, das bin ich. Und dann auch schon wieder leise. Denn ich kann es einfach nicht schließen, das Loch in meinem Herzen.
Warum schreibe ich das heute eigentlich?
Schon oft habe ich an einem solchen Seelentext herumgetippt. Ihn wieder verworfen. Oder die regelmässigen Einträge in meinem virtuellen Notizblock als persönliche Müllkippe benutzt. Emotionsbalance durch Schreiben. Habe ich schon immer gemacht. Schon als Kind.
Vielleicht ist es meine Art es auszusprechen. Mein Weg mich mitzuteilen. Mein Weg es alle wissen zu lassen, ohne selbst sprechen zu müssen. Die Hoffnung, dass ich besser verstanden werde in manch einer Situation, in der es aus mir herausbricht, oder in der ich einfach verstumme. Die Hoffnung, dass mich nicht mehr andauernd jemand fragt wann denn unser zweites Kind käme und ob wir nicht ein weiteres Kind wollen würden. Die Hoffnung, dass Menschen ihre Aussagen überdenken und reflektieren bevor sie einen mit unbedachten Sätzen aus der Bahn werfen. Ich weiss, sie meinen es gut. Und dennoch trifft es einen wie ein Pfeil.
Egal wie frisch man schwanger ist, egal wie klein das Kind noch sein mag. Ab dem Zeitpunkt wo du es weißt, wo du die Veränderungen deines Körpers wahrnimmst, bist du Mutter bzw. Eltern dieses Kindes. Es ist da und gehört zu dir. Jeden Tag ein Stück mehr. „War ja eh erst die 10./11. Woche“ … was für eine miese Aussage. 11 Wochen Freude. 11 Wochen Mutter/Eltern sein. Immerhin fast 3 Monate. Das ist lange! Und ist ein großer Verlust. Eine utopische Vorstellung für mich, sich bis zur 12ten Woche gar nicht emotional darauf einzulassen schwanger zu sein. Hat das schon einmal irgendjemand zusammengebracht?!
Und dann ist da genau diese große Hemmschwelle mit seinem Schicksal an die Öffentlichkeit zu gehen. Man kann es schon hören, das Geschwätz hinter vorgehaltener Hand. Die, weißt eh, die Schwache, der Psycho, die die nicht das zu leisten vermag, was Frauen doch seit Urzeiten vollbringen. Was ist bloß falsch bei ihr?
Vermutlich ist genau diese Angst vor der Brandmarke der Grund warum niemand offen darüber spricht. Erst Stück für Stück habe ich nach meiner ersten Fehlgeburt mitbekommen, dass ich bei Weitem nicht die Einzige bin, deren Kinder großteils nie in glücklichen Armen gelandet sind.
Was ich also sagen will, all denen die selbst diese Trauer in sich tragen. Ihr seid nicht alleine. Ihr seid nicht die Einzigen, die phasenweise schweren Herzens durchs Leben gehen. Ihr seid nicht die Einzigen, die immer wieder unvermittelt aus ihrem fröhlichen Leben gerissen und an die Trauer und Wunden erinnert werden.
Nein, ich möchte nicht in jede Menge Sesselkreise eingeladen werden nach diesem Post, möchte auch nicht mit jedem dieses Herzensthema besprechen müssen und schon gar nicht eine Sensationsgier von armseligen „Schaulustigen“ stillen. Ich möchte auch nicht ferngehalten werden, von all den Freuden meiner Freunde mit Schwangerschaft und Neugeborenen Kindern.
Aber ich wünschte mir, ihr würdet es im Hinterkopf behalten und sensibel bleiben. Und vorsichtiger sein mit euren Aussagen in Situationen, in denen euch jemand gegenübersteht, der eventuell auch ein kleines oder größeres Loch im Herzen mit sich herumträgt.
Jetzt heißt es schwimmen lernen. Sich freischwimmen. Stück für Stück. Auch wenn es nie wieder ganz schwerelos sein wird. Seid stark und redet darüber! Hach ja, das sagt die Richtige, ich weiß. Seht es als Anstoß, von einer, die noch nicht so weit ist.
Anna
P.s: Am Ende dieses Textes möchte ich noch zwei ganz besonderen Personen danken.
Zu allererst meinem kleinen Krawallo, der Liebe meines Lebens, der immer dafür sorgt, dass ich die schönen Seiten des Lebens noch detailierter und öfter wahrnehme und ohne den die schweren Zeiten der letzten Jahre einfach unerträglich gewesen wären.
Und meiner kleinen Nichte, die mit ihrer Ankunft alles wieder hoch geholt hat an die Oberfläche und mich dazu gebracht hat die Verarbeitung dieser Geschehnisse zu beginnen.
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